Das böse R-Wort*

(* den Begriff habe ich einer realen Lehrerin an einer realen Schule in einer realen deutschen Großstadt geklaut. Sorry und danke!)

Eine Warnung.

Also das böse R-Wort nehmen Sie am besten nicht in den Mund. Im Zusammenhang mit Schule schon gar nicht. — Nein, auch nicht wenn Sie strukturell und/oder institutionell vorweg schicken. Nützt nichts. Ist einfach zu krass.

***

„Ja, wissen Sie, was wir uns hier jeden Tag antun müssen? Da redet doch niemand drüber. Aber ja, ertragen wir, so tolerant sind wir. Aber die Aggressionen, die hinter diesem Wort stecken, also man kann auch anders auf Leute zugehen… Das Wort verallgemeinert auch, wo doch nicht verallgemeinert werden sollte.“

„Nein, da werfen Sie ja alles in einen Topf. Herrschen doch ganz unterschiedliche Bedingungen überall. Und denken Sie doch an die Leute, die sich hinter der Struktur und der Institution verbergen! Wollen Sie jetzt behaupten, dass die alle R* seien?“

„Da sind doch gute Leute dabei. Die meisten! Und die geben sich Mühe und arbeiten wirklich hart. Wollen Sie den Job machen? Sind die jetzt alle böse?“

„Ne, ne, ne… Das hab ich noch nie erlebt. Und ich meine, wenn es hier so schlimm ist… Bildung for free, ich mein, da sollte man ja auch froh drüber sein. Wo gibt es denn sowas?! Und zuhause, in ihren Ländern, da werden die doch noch in der Schule geschlagen. Und so schlimm scheint es denen ja nicht zu gehen. Ich mein, haben doch alle teure Handys. Teurer als meins! Muss man sich mal vorstellen.“

„Da können Sie ja alles mit dem R*-Wort betiteln! Das muss man sich doch ein bißchen genauer anschauen. Was haben die denn zu der Situation beigetragen? Dass da nicht alles rosig läuft, dass muss man doch auch benennen. — Hupps, nicht, dass ich jetzt ihr R*-Wort um die Ohren gehauen bekomme… Rosig, also das war ja jetzt nicht auf die Hautfarbe bezogen.“

„Und dann schauen Sie sich doch die Statistik einfach mal an. Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass das alles mit R* zu tun hat? Also eine Opfermentalität zu unterstützen, davon halte ich nichts. Man muss die ja auch ernst nehmen und in die Verantwortung.“

„Ich meine, ich erlebe das doch jeden Tag. Kann mir doch keiner was erzählen. Ich gehöre doch hier zur Minderheit. Das ist doch mal Fakt.“

„Und dieses ganze Zeug… Hören Sie doch auf damit… Dekolonialisieren? Postkoloniale Kritik? Critical whiteness? Herrschaftskritik? Das ist doch Irrsinn. Die Leute, die sowas verbreiten, sind doch Terroristen. Mit denen braucht man sich gar nicht unterhalten. Wissen Sie, es gibt einfach eine Grenze. Wissenschaftlich ist das doch überhaupt nicht. Höchstens Propaganda.“

„Wie Studien? Wissenschaftliche Konferenzen? Ach, hören Sie auf. Klar, ist doch modern. Da gibt es Fördergelder. Darum geht es doch. Das ist doch völlig lebensfern. Was für den wissenschaftlichen Elfenbeinturm. Spirenzchen. Das hat doch mit der Realität nichts zu tun.“

„Außerdem gibt es doch Angebote. Wir reagieren doch. Die Schüler machen auch jedes Jahr ein Projekt dazu. Was sollen die denn noch alles machen? Die sollen erstmal richtig lesen und schreiben und rechnen lernen. — Wie, die Lehrer? Na, noch einen Wunsch? Wissen Sie, was ich alles zu leisten habe? Da sollen die da oben doch erstmal andere Strukturen schaffen. Wenn ich mich dann um jeden Schüler wirklich kümmern könnte, müssten sie ihr R*-Wort nicht mehr in den Mund nehmen. Ist doch nur ne Ausrede. Die Probleme liegen ganz woanders, glauben Sie mir!“

„Also, wissen Sie, da kann man mit Ihnen wirklich nicht drüber sprechen. Sie sind da einfach zu emotional. Haben Sie irgendwelche Ausländer in Ihrer Familie? Oder wurden Sie von Ihrer Mutter nicht ausreichend geliebt? Da sucht man sich ja oft was als Kompensation. Ich kann da auf jeden Fall nicht mehr mit Ihnen drüber reden. Mit Ihnen geht das einfach nicht. Sie sind da so verstrickt.“

„Das wird ja auch oft benutzt, um Aufmerksamkeit zu erhaschen. Habe ich letztens erst den Eltern eines Schülers gesagt. Da muss man gleich gegensteuern. Wenn der sich weiter so viel Raum mit seinem R*-Geschrei nimmt, bekommt der einen Tadel. Und bei Ihnen… Ist ja schon fast eine Obsession. Können Sie nicht auch mal über etwas anderes reden? Ist doch irgendwie so eine falsch gepolte Suche nach Zuneigung. Eigentlich geht es nicht darum. Da steckt was anderes dahinter.“

„Ich stimme Ihnen ja zu, aber erstmal müssen wir die Schule doch zum Laufen bringen. Das Tagesgeschäft steht an erster Stelle. Wenn alle mit Unterricht versorgt sind und wirklich was lernen, dann können wir uns darum kümmern.“

„Und ich glaube ja auch, dass man das heraufbeschwören kann. Also, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich finde das auch ganz schlimm und bin weit davon entfernt solch ein Gedankengut zu teilen, denn für mich sind alle gleich. Aber wenn man sich nur damit beschäftigt, dann hört man die Nachtigall ja auch überall trapsen. Verstehen Sie? Könnte ja auch daran liegen. Wäre ja eine Überlegung wert. Haben Sie schon einmal den Begriff Self-fullfilling prophecy gehört?“

„Ich hatte da auch mal so einen Fall. Da hat der Schüler auch zugegeben, dass er das R-Wort nur gesagt hat, um mich zu ärgern. Der war sauer. Tja. Das ist ein großes Problem und darüber müssen wir auch mal sprechen. Der Schüler hat er sich später auch dafür entschuldigt. Ist aber eine wirkliche Gefahr. Mit der R*-Keule können die uns doch ausschalten!“

„… und ich meine, es gibt ja Stellen, an die sich ein Schüler oder seine Eltern wenden können. Zum Beispiel in der Schulbehörde. Wird von unseren Steuergeldern alles bezahlt. Ist ja auch selten, dass irgendwo noch ein Nazi-Kollege herumschwirrt. Wir sind doch heute alle voll auf dem Multikulti-Kurs. Und außerdem: Die Eltern haben doch eh die Macht. Wenn die meckern, dann passiert doch immer was. Da können wir doch bereits 100 Briefe geschrieben haben.“

„Ja, wenn Sie darüber sprechen wollen, dann müssen wir auch über deren R* reden. Und die Gefahr vor deren Radikalisierung. Wenn ich so sehe, was da aus einigen werden könnte…, da wird mir angst und bange. Vor den Sommerferien noch kleine Burschen und dann… Da muss man hinsehen! Sehen Sie doch, was in der Welt so passiert.“

„Und R*ssen gibt es doch. R* ist es nur, wenn ich den Schülern erkläre, dass die einen weniger wert sind als die anderen. Mach ich nicht. Ich hebe immer das Positive hervor. Hab ich letztens auch einer Schülerin gesagt. Hab ihr gesagt, dass sie doch ganz stolz darauf sein könne, dass die alle so schön improvisieren können.“

„Also der politische Fokus liegt auf der Inklusion (Anmerkung des Verfassers, hier ist der enge Inklusionsbegriff gemeint) von Menschen mit Behinderung (Anmerkung des Verfassers, d.h. von Menschen, die behindert werden) und auf der Diskriminierung der sozialen Herkunft. Das ist dann auch nicht ausschließend und somit wiederum nicht diskriminierend. Das trifft nämlich alle. Darum kümmern wir uns.“

„Wissen Sie, strukturellen R* gibt es in Deutschland nicht. Das ist nicht das Problem Deutschlands. Deutschlands Problem sind Lehrer wie Sie, die glauben, es existiere sowas wie struktureller R* und mit ihrem psychischen Problem hausieren gehen.“

Das böse R-Wort*

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